Soziokultur

Hoch- und Soziokultur als moderne Wahlverwandte? Die Institutionen und Projekte der Soziokultur sind, im Vergleich zu manchen Tankern der »Hochkultur«, die wendigen Lotsen des Kulturbetriebs. Die soziokulturelle Szene verfügt über eine besondere Sensibilität und Offenheit für neue gesellschaftliche Themen, sie fördert die aktive Auseinandersetzung mit Kultur, die je eigene Gestaltung kreativer Prozesse. Die Bedeutung dieses Aspekts der Partizipation [Beteiligung] ist nicht zu unterschätzen, gerade in einer Medien- und Informationsgesellschaft, die Kultur allzu oft mit großem Event und passivem Konsum gleichsetzt. (Staatsministerin a.D. Ilse Brusis, 2008)

Soziokultur ?

Einfach gesagt, ist sie Kultur von allen und für alle.

Der Wortteil »Sozio-« verweist darauf, dass in der Soziokultur die Kultur und Kunst eng mit der Gesellschaft (dem Sozium) verknüpft werden. Der kulturelle Wirkungsanspruch reicht folglich in viele Arbeitsbereiche hinein, die nicht im klassischen Sinn zum Kulturbereich gehören, wie Kinder- und Jugendarbeit, Bildung, Soziales, Siedlungsentwicklung und Umwelt. Anfang der 70er Jahre entstanden die ersten Soziokulturellen Zentren im Zusammenhang mit den neuen sozialen Bewegungen. Sie wurden in der westlichen Welt als Selbstverwaltete Kommunikationszentren, Kulturläden oder Bürgerhäuser gegründet, vielfach gegen den politischen Widerstand von Parteien und Kommunalverwaltungen.

Am Anfang ihrer Entwicklung wollten Soziokulturelle Zentren Modell für andere gesellschaftliche Arbeits- und Lebensformen sein und sich bewusst absetzen von den traditionellen Kulturinstitutionen und klassischen Kunstformen. Heute sind Soziokulturelle Zentren integraler Bestandteil der Kulturlandschaft. Was ist das Erfolgskonzept, warum ist die Soziokultur auf dem Vormarsch und bedient sich die Hochkultur ihrer Elemente?

Soziokultur ist eine Kultur der Zuwendung und Offenheit. Sie bietet ihrem Publikum ein Genre übergreifendes und Lebensraum nahes und bezahlbares 365-Tage-Veranstaltungsprogramm, leistet einen Beitrag zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses in den Sparten Theater, Musik, Literatur, Film und Bildender Kunst und ermöglicht breiten Bevölkerungsschichten die aktive Teilhabe am kulturellen und politischen Leben. Oft wurden und werden etablierte Soziokulturelle Einrichtungen selbst Standortfaktoren und Impulsgeber: Menschen ziehen in eine Region, weil es dort eine lebendige Kulturszene gibt Nachbarorte lassen sich anstecken.

Hochkultur ?

Historisch betrachtet ist Hochkultur stets die Kultur der führenden Gesellschaftsschicht

Der soziologische Begriff umfasst die als besonders wertvoll akzeptierten Kulturleistungen – im Gegensatz zur Alltags-, Massen-, Volks- und Populärkultur. Historisch betrachtet ist Hochkultur stets die Kultur der führenden Gesellschaftsschicht gewesen, also des Adels und der Kirche. Seit dem Machtverlust des Adels nach der Französischen Revolution definierte die Elite der Gesellschaft die Hochkultur inhaltlich. Einer kulturellen und intellektuellen großen Leistung wurde nun mehr Wert als einer adligen Abstammung zuerkannt. So wurde Hochkultur zu einer Errungenschaft des Bildungsbürgertums.

Ab dem 20. Jahrhundert wird der Begriff meist auf E-, U- und F-Musik (Ernste, Unterhaltende und Funktionale Musik), Bildende und Angewandte Künste, Literatur (Höhenkammliteratur) und Darstellende Künste (Tanz, Theater) bezogen. Diese Kulturformen müssen bestimmten ästhetischen Maßstäben gerecht werden und den geltenden Bildungsidealen entsprechen. Je nach Herkunft variieren die Einordnungen. So werden in Europa im Unterschied zu Asien die Kalligraphie, der Sport, die zirzensischen Künste oder das Kunsthandwerk traditionell nicht dazu gezählt.

Mitunter wird die Hochkultur missbraucht, um den Führungsanspruch von Bildungseliten zu behaupten.

Die Historie

Einrichtungen der ehemaligen DDR-Breitenkultur —wie Kulturhäuser, Jugendclubs oder Initiativen — suchten in der Umbruchzeit nach 1989 auch in Leipzig nach Perspektiven. Bestehende Strukturen wurden aufgelöst und es entstanden nichtstaatlich getragene Einrichtungen. Dass die DDR-Kulturpolitik Traditionen und den Nachwuchs künstlerisch förderte und ein breites Verständnis von Kultur zeigte, erwies sich bei der inhaltlichen Ausrichtung der neuen Kulturzentren als Kernkompetenz. Der Großteil der soziokulturellen Einrichtungen in Ostdeutschland entstand nach der Wende. Zu Zeiten der DDR beherbergte das Haus Steinstraße 18 den Jugendklub „Arthur-Hoffmann“, beliebt durch Jazzveranstaltungen, Lesungen, Kinderfeste. Nach dem Mauerfall organisierten Bürger den Verein „Spielpädagogik“ und meldeten ihn bereits 1990 unter der Amtsregisternummer 49 als einen der ersten Vereine Leipzigs an. Später, als Aufgaben und Sparten gewachsen waren, erfolgte die Umbenennung in Haus Steinstraße e.V.

Masse und Klasse

Haus Steinstraße e.V.: pro Jahr mehr als 200 Veranstaltungen und Kurse, ca. 44.000 Besucher, derzeit 11 Mitarbeiter sowie 8 feste Honorarkräfte und saisonal mehr als 100 Ehrenamtliche, durchschnittliches Haushaltsvolumen ca. 500 000 Euro, ca. 260.000 Euro aus kommunaler Förderung, Arbeitgeber für 1 Kommunalkombilohnstelle, geplant: 1 Stelle mit Eingliederungszuschuss für 1 Schwerbehinderte, 4 der 11 Festangestellten wurden aus einem ABM-Verhältnis übernommen, 2 weitere konnten in feste Arbeitsverhältnisse vermittelt werden. Gesamtfläche der Räume beträgt 765 m² — vom Keller bis zum Dachboden. Da das Haus nicht behindertengerecht ausgestattet ist, agieren die Mitarbeiter auch außerhalb der Immobilie in der Steinstraße, so zum Beispiel in mehreren Werkstatt- und Atelierräumen in der Förderschule Albert Schweitzer. Der Prozentsatz der Selbsterwirtschaftung liegt beim Haus Steinstraße bei ca. 50 %.
(Angaben von 2015)

Förderung

Auszüge aus der Rahmenvereinbarung zwischen dem Kulturamt der Stadt Leipzig und Haus Steinstraße e.V.

Grundsatz
Mit dieser Vereinbarung unterstützt die Stadt Leipzig die weitere Entwicklung des soziokulturellen Zentrums Haus Steinstraße. Das Haus ist offen für alle Generationen, unterbreitet kulturpädagogische Angebote schwerpunktmäßig für Kinder und Jugendliche und ist Ort der Begegnung und des Austausches der Generationen. Es bietet darüber hinaus Rahmenbedingungen für kulturell-künstlerische Eigeninitiativen verschiedener freier Gruppen und kultur- und bildungspädagogischen Kooperationspartnern einen kreativen Freiraum.

Der Verein setzt die Schwerpunkte sowohl angebotsorientiert, indem Kurse, Beratungsleistungen etc. im Rahmen des Gesamtkonzepts entwickelt werden als auch nachfrageorientiert, indem projektbezogen auf aktuelle Interessenlagen der Nutzer oder von Kooperationspartnern reagiert wird und entsprechende Vorhaben in das Gesamtkonzept integriert werden.

Dieses Leitbild soll vor dem Hintergrund der aus dem Status Mehrgenerationenhaus entstehenden neuen Ansprüche und Möglichkeiten präzisiert und durch klares Herausarbeiten standort- und zielgruppenrelevanter soziokultureller Arbeitsfelder umgesetzt werden.

Zielvereinbarung
Die Rahmenvereinbarung dient der Struktursicherung für das Haus Steinstraße und soll dem Haus Steinstraße e.V. ermöglichen, im Rahmen der soziokulturellen Arbeitsfelder folgende Aufgaben zu erfüllen:

  • Am Haus
    • Profilierung des generationsübergreifenden Arbeitsansatzes, um den förderwürdigen Ausbau als bundesgefördertes Mehrgenerationenhaus voranzutreiben
    • Entwicklung und Umsetzung innovativer Projekte, die Einzelprojekte und Teilbereiche am Haus und deren Teilnehmer vernetzen können und damit auf der Grundlage des generell kulturpädagogisch orientierten Profils beispielgebend für die Mehrgenerationenarbeit in der Stadt wirken; Verschränken dieser Projekte mit anderen soziokulturellen Arbeitsfeldern, die sowohl standort- als auch zielgruppenrelevant sind
    • Konzentration innerhalb der Kinder- und Jugendkulturarbeit auf Talentförderung in regelmäßigen Kursen im bildnerischen und darstellenden Bereich sowie in offenen Angebotsformen, die auch Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten Kompetenzerwerb und Selbstverwirklichung ermöglichen
    • prozess- und beteiligungsorientierte Arbeit mit öffentlicher Ergebnispräsentation und Einbindung in Projekte
    • Stabilisierung der Bereiche am Haus, die in der kreativen Kurs- oder Probenarbeit zugleich Übung und Verwirklichung demokratischer Teilhabe der Kinder und Jugendlichen selbst sind: Dachtheater, Bleilaus-Verlag, Cafe Yellow
    • Projektentwicklung zur innovativen und kreativen Seniorenkulturarbeit unter dem Aspekt der Förderung „alter Talente“, des lebenslangen Lernens und der Weitergabe von Erfahrungen zwischen Generationen und innerhalb soziokultureller Netzwerke
  • Im Stadtteil
    • gemeinwesenorientierte Öffnung des Mehrgenerationenhauses zum Gewinnen und Binden neuer Zielgruppen
    • Projektbezogene Kooperationen mit anderen Kulturanbietern und Akteuren im Leipziger Süden
    • Beteiligung an stadtteilrelevanten Aktionen
  • Stadtweit
    • zielgruppenorientierte integrative Projektarbeit zur Vermittlung kultureller Bildung mit gesundheitlich oder sozial benachteiligten bzw. verhaltensauffälligen Kindern, die allein keinen Zugang zu kreativen oder sportlichen Betätigungsfeldern finden
    • Organisation und Durchführung des jährlichen Wettbewerbs Kinder- und Jugendkunstausstellung im Auftrag des Kulturamtes; Organisation des Podiums jüngster Autoren auf der Leipziger Buchmesse – beides in Kooperation mit weiteren Partnern
    • Anbindung des eigenen Konzepts Mehrgenerationenhaus an gesamtstädtische Entwicklungen im Seniorenkulturbereich

Das Kulturamt der Stadt Leipzig fördert entsprechend dem vorhandenen gültigen Betreiberkonzept die gemeinnützige kulturelle Tätigkeit des Haus Steinstraße e.V. im Vertragszeitraum jährlich institutionell in Form einer Festbetragsfinanzierung.


Wirtschaftlichkeitsgebot
1. Der Verein ist verpflichtet, das soziokulturelle Zentrum mit kaufmännischer Sorgfalt zu führen. Der Verein verpflichtet sich insbesondere
a) keine Versorgungszusagen zu erteilen,
b) keine Verlängerungen der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfristen zu vereinbaren,
c) innerhalb der letzten 6 Monate der Vertragslaufzeit gemäß § 5 dieser Vereinbarung
Neueinstellungen und Vertragsänderungen, die einen Arbeitnehmer besser stellen würden, nur nach vorheriger schriftliche Zustimmung der Stadt vorzunehmen.
Kündigungsklausel
(1) Der Verein kann diesen Vertrag mit einer Frist von einem Jahr zum Ablauf des nächsten Jahres kündigen.
(2) Die Stadt Leipzig kann diesen Vertrag mit einer Frist von einem Jahr zum Ablauf des nächsten Jahres insbesondere kündigen, wenn
– der Verein die vertraglich vereinbarten Ziele nicht oder nicht adäquat realisiert oder
– die Besucherzahlen der Einrichtung um mehr als 50% unter dem Vorjahresdurchschnitt liegen
oder
– die Vorschriften und Richtlinien für die Gewährung und Abrechnung von Fördermitteln nicht eingehalten werden,
(3) Die Stadt Leipzig kann diesen Vertrag insbesondere dann fristlos kündigen, wenn der Verein die Gemeinnützigkeit verliert bzw. Insolvenz anmelden muss oder wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die eine fristlose Kündigung seitens der Stadt Leipzig rechtfertigen. Wichtige Gründe sind z. B. ein schwerer Verstoß gegen die Vereinbarungen dieses Rahmenvertrages oder eine der Förderung zuwiderlaufende Änderung der Konzeption.